Swetlana Tichanowskaja: „Souveränität war für das Regime nie ein Anlass zum Feiern oder ein wichtiger Wert“
Swetlana Tichanowskaja, die Anführerin des demokratischen Belarus, sprach in ihrer Rede zum inoffiziellen Unabhängigkeitstag von Belarus über die Prioritäten des Vereinigten Übergangskabinetts, dessen Bildung sie in diesem Monat veranlasst hat.
„Souveränität war für das Regime nie ein Anlass zum Feiern oder ein wichtiger Wert“, erklärte Tichanowskaja. „Gestern gratulierten sie dem ukrainischen Volk zum Unabhängigkeitstag der Ukraine, und ein paar Stunden später flogen wieder russische Raketen aus belarusischen Gebieten in die Ukraine.
Aus diesem Grund hat der Schutz der Unabhängigkeit von Belarus oberste Priorität für das von mir gebildete Vereinigte Übergangskabinett. In den vergangenen zwei Wochen haben sich die Kabinettsmitglieder auf eine Strategie und eine Aufteilung der Zuständigkeiten geeinigt: Wer was tun soll und – was vielleicht noch wichtiger ist – was man nicht tun soll. Damit das Kabinett effizient arbeiten kann, muss es über ein reibungslos funktionierendes System verfügen. In den letzten Wochen haben wir viele Anfragen von Personen erhalten, die im Kabinett mitwirken möchten.
Wir arbeiten nun für Menschen, die nicht mehr genug zu essen haben, aber froh sind, dass ihnen zumindest keine Raketen auf den Kopf fallen. Heute, 31 Jahre später, stehen die Belarus*innen erneut vor der Gefahr, ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Unabhängigkeit ist wie Luft. Wir denken nicht darüber nach, wie wichtig sie ist, solange sie da ist. Wir dürfen also nicht warten, bis wir sie verlieren, bevor wir anfangen, sie zu verteidigen.“
In den Jahren 1991 bis 1996 wurde der Unabhängigkeitstag am 27. Juli gefeiert. An jenem Tag im Jahr 1990 wurde die Erklärung über die staatliche Souveränität der Belarusischen Sozialistischen Sowjetrepublik verabschiedet. Am 25. August 1991 wurde die Erklärung in den Rang eines Verfassungsgesetzes erhoben. So erklärte Belarus einen Tag nach der Ukraine seine Unabhängigkeit. Im Jahr 1996, nach einem zweiten von Lukaschenko eingeleiteten Referendum, wurde der Unabhängigkeitstag auf den 3. Juli verlegt – das Datum, an dem sowjetische Truppen 1944 Minsk von der deutschen Armee befreit hatten. Belarus ist das einzige Land im postsowjetischen Raum, wo der offizielle Unabhängigkeitstag nicht mit der Abspaltung von der UdSSR oder dem Russischen Reich verbunden ist.