Absurde Urteile: ein Streikposten mittels Haarfarbe
Am 9. September nahm die Polizei die 19-jährige Wiktoryja Ljowina in Minsk auf der Straße fest, weil ihr die Haarfarbe der jungen Frau nicht gefiel. Auf dem Bezirkspolizeipräsidium wurde gegen sie eine Anzeige nach Artikel 24.23 erstattet, in der es heißt, sie habe „mit weiß-rot-weißer Haarfarbe einen Streikposten abgehalten“.
Am selben Tag wurde Wictoryja per Skype vor Gericht gestellt. Richterin Natallja Buhuk bat Victoria, sich vor die Kamera zu stellen und ihre Haarfarbe zu demonstrieren. Die Richterin merkte an, die junge Frau habe „eine sehr interessante und originelle Frisur“, erklärte sie für schuldig, einen Streikposten abgehalten zu haben, und verhängte eine Geldstrafe von über umgerechnet ca. 900 Euro.
Michail Dubin, 61, wettete mit zwei Männern in einem Trolleybus, dass er „Schywe Belarus“ (Lang lebe Belarus) ausrufen würde. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Teilnehmern der Wette um Polizeibeamte in Zivilkleidung. An der Bushaltestelle wurde der Mann festgenommen und zur Bezirkspolizeipräsidium gebracht. Michail wurde wegen einer nicht genehmigten Kundgebung (Artikel 24.23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) angeklagt und mit 30 Tagen Haft bestraft.
Die Rentnerinnen Iryna Nowik, Natallja Ahejtschyk und Alla Bujankowa, die zuvor wegen des Lesens von Büchern in belarusischer Sprache im Zug vor Gericht standen, wurden wegen ihrer Teilnahme an einer Aktion zur Unterstützung von Maxim Znak und Maria Kolesnikowafestgenommen. Richter Dsmitryj Karsjuk befand sie für schuldig und verurteilte Natallja Ahejtschyk zu 30 Tagen Haft, Iryna Nowik und Alla Bujankowa zu je 15 Tagen Haft.
Im Juli 2021 nahmen Polizeibeamte die Familie von Sjarhej Krupenitsch und Anastasija Krupenitsch-Kandratjewa fest. Sie wurden zu je 41 Tagen verurteilt, weil sie sich gegenseitig Informationen aus „extremistischen Kanälen“ der Opposition in privaten Nachrichten geschickt hatten. Am 25. August wurden sie nach ihrer Verhaftung wieder freigelassen. Die Polizei erwartete sie zu Hause und forderte sie auf, am nächsten Morgen auf die Polizeiwache zu kommen, um „Dokumente zu unterschreiben“. Das Paar ging zur Polizei, aber es gab eine neue Anklage nach Artikel 19.11 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, nach der sie erneut zu je 15 Tagen Haft verurteilt wurden. Heute sollten Anastasija und Sjarhei freigelassen werden, was jedoch nicht geschah – ihre Haftstrafe wurde erneut verlängert.
Aljaxej Busel, der Tontechniker und Musiker der Band Favourite Mirror, und seine Mutter Tazzjana wurden bei einer Razzia auf einem Hofmarsch in einem der Minsker Bezirke festgenommen. In der Wohnung der Familie wurde eine Durchsuchung durchgeführt, woraufhin der Vater der Familie, Sjarhej Busel, ebenfalls festgenommen und über Nacht wieder freigelassen wurde. Dann wurde Sjarhej, Aljaxejs Bruder, in die Hauptdirektion zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption (GUBOPiK) gerufen.
Bei der Verhandlung sagte Aljaxej, er habe sich lediglich eine weiß-rot-weiße Fahne über die Schultern geworfen. Aljaxej berichtete auch von Gewalt durch die Einsatzkräfte: Er wurde in einem Bus auf dem Boden liegen gelassen, geschlagen und mit einem Elektroschocker traktiert. Trotzdem wurden Aljaxej und seine pensionierte Mutter zu je 15 Tagen Haft verurteilt.