Folter und Gewalt im Jahr 2020 – die Geschichte von Wjatschka K.
33 Jahre alt, Musiker. „Sie befehlen dir, zu rennen, aber du weißt nicht wohin, und sie lachen, schlagen dich und geben dich in der Runde immer weiter“
Wjatschka ist sich sicher: wie die meisten Menschen, die im August 2020 an den Wahlen teilgenommen haben, wurde er von den Machthabern getäuscht. Und dann setzten sie das Schwungrad der Unterdrückung in Gang und zerstören auch heute noch viele Leben. Er wurde selbst im August mit harter Gewalt verhaftet, ihm wurden im Transporter die Haare geschnitten und er wurde so stark geschlagen, dass seine Blase nicht mehr durchhalten konnte. Anschließend wurde er nur in seiner Unterwäsche in der Haftanstalt für Straffällige in Akreszina festgehalten. Danach verließ Wjatschka das Land. Und in Litauen beantragte er die Anwendung der universellen Gerichtsbarkeit, wenn es um die Untersuchung von Folterungen belarusischer Demonstranten geht. Der junge Mann sagt, dass er für den Rest seines Lebens gegen die Ungerechtigkeit kämpfen wird. „Und ich habe vor, ein langes Leben zu führen“, schmunzelt Wjatschka.
„Ich weiß nicht mehr, ob er einen Gehstock hatte, aber er konnte sich nur schwer bewegen. Er versucht, über das Geländer zu klettern, und währenddessen wird eine Granate auf ihn geworfen.“
– Vor der Festnahme in der Nähe des Supermarkts „Riga“ war ich auf dem Puschkin-Platz. Das „Feuerwerk“ habe ich in einem der Hauseingänge abgewartet, es fühlte sich an, als ob Krieg ausgebrochen wäre. Danach beschloss ich, per Anhalter zum Nacht-Supermarkt „Riga“ zu fahren. Ich komme an und sehe, dass neue Barrikaden errichtet werden und die Aufräumarbeiten beginnen. Alle rannten weg und ich blieb. Ich war ein wenig schockiert, die „Schildkröten“ kamen von allen Seiten angerannt! Warum ich stehen blieb? Ich sah einen Mann, der zunächst verwirrt war und dann anfing wegzulaufen. Ich weiß nicht mehr, ob er einen Gehstock hatte, aber er konnte sich nur schwer bewegen. Er versucht, über das Geländer zu klettern, und währenddessen wird eine Granate auf ihn geworfen. Und ich bleibe stehen: Der Kerl ist unbewaffnet, er kann sich kaum bewegen, und da kommt so was! Die Granate wurde von einem Einsatzpolizisten aus einem Spezialfahrzeug geworfen, das mit einem „Geschützturm“ ausgestattet war. Später schoss ein zweiter Polizist auf den Mann mit etwas, das wie eine Schrotflinte aussah. Es traf ihn in den Bauch.
Ich werde noch langsamer und denke, was soll ich denn tun? Ein Mann im weißen Kittel läuft auf den Kerl zu. Und in ihre Richtung fliegt eine weitere Granate. Ich stand etwa 20 Meter von ihnen entfernt – gut, dass ich vorher meine Kopfhörer aufgesetzt hatte. Ich beschließe, ihnen zu helfen, aber vier dieser „Schildkröten“ springen um die Ecke auf uns zu, schlagen mich mit ihren Schlagstöcken und zerren mich dann irgendwohin. Einen Moment lang überlegen sie, ob sie mich über das Geländer werfen sollen, wo dieser Mann festgenommen wurde. Ein weiterer Polizist taucht auf und sagt, dass sie Schluss machen müssen. Danke an ihn, denn so ein Sturz aus einem Meter Höhe ist kein Spaß.
„Ein Typ in Schwarz schlug mich mehrmals, zerrte mich dann an den Haaren hoch und schnitt sie mit einem Militärmesser dreimal ab.“
Ich war der erste im Polizeitransporter. Ein Typ in Schwarz schlug mich mehrmals, zerrte mich dann an den Haaren hoch und schnitt sie mit einem Militärmesser dreimal ab. Im Transporter fesselten sie mich mit Kabelbindern, warfen mich mit dem Gesicht auf den Boden und fingen an, mir in den Rücken und auf den Kopf zu treten. Das Gefühl war nicht so toll, aber ich war noch recht langsam dabei und fühlte nicht wirklich den Schmerz. Als Zweites brachten sie den Kerl im weißen Kittel in den Transporter, der dem anderen Mann geholfen hatte. Er wurde irgendwie mit Respekt behandelt. Auf die Frage, was er hier mache, antwortete der Kerl, dass er das Geschehen nicht mit ansehen könne und den Menschen helfen wolle. „Gut gemacht, aber du hast dich für die falsche Seite entschieden“, war ihr Kommentar. Sie setzten ihn auf die Bank und schlugen ihn nicht wirklich hart. Dann kamen sie zu mir zurück: „Oh, du Haariger!“ Sie sagten, dass man mich mit dem Knüppel vergewaltigen sollte. Ich liege da und denke so: Na ja, das habe ich noch nie gemacht, es ist wohl Zeit, etwas Neues auszuprobieren. Die Einsatzkräfte nahmen meinen Rucksack weg, dort waren Kondome. „Oh, schau mal, er kam sogar vorbereitet!“
Dann kamen sie zu mir zurück: „Oh, du Haariger!“ Sie sagten, dass man mich mit dem Knüppel vergewaltigen sollte. Ich liege da und denke so: Na ja, das habe ich noch nie gemacht, es ist wohl Zeit, etwas Neues auszuprobieren
Was mich rettete, war, dass ein neuer Häftling dazu kam. Ich glaube, er kam aus Tadschikistan. Sie fingen sofort an, sich über ihn lustig zu machen: „Na, hast du genug Kebabs gedreht?“ Kilotonnen von Schimpfwörtern! Sie verprügeln ihn und er schreit so laut! Der Typ ist etwa 19-20 Jahre alt und spricht sehr schlecht Russisch. Später fand ich heraus, dass er ein Student an der Belarusischen Nationalen Technischen Universität war und mit einem Freund aus dem Wohnheim gekommen war, um zu sehen, was los war. Na ja, da hat er es gesehen.
Der Transporter füllte sich allmählich, man fing damit an, die Menschen auf mich draufzulegen und dadurch bekam ich viel weniger Schläge ab. Aber wenn man um die 200 Kilo auf sich liegen hat, beginnen die Handgelenke in den Kabelbindern zu schmerzen, man liegt mit dem Gesicht nach unten und kann nicht richtig atmen – alles, was einem übrig bleibt, ist, dem Nachbarn von oben zuzugrunzen, dass er seine Position ändern soll. Und diese Mistkerle schreien: „Na, wo ist euer Präsident des Lichts? Wo ist das Geld, das man euch für den Protest gezahlt hat?“ Ich hatte etwas Bargeld in meinem Rucksack und sobald sie es sahen, hieß es: „Schaut mal, den Oppositionellen hat man bezahlt!“
Die Durchsuchung war damit noch nicht vorbei. „Und wer von euch ist in der Union der belarusischen Musiker?“ Wenn man nicht antwortet, werden alle verprügelt. Ich antwortete, sie lachten.
„Du bist selbst jetzt eine sezierte Ratte“
Nach dem Polizeitransporter verfrachtete man uns in einen roten Minibus, wo ich diesmal ganz oben lande. Man hatte mir so stark in den Bauch getreten, dass ich mir in die Hose pinkelte. In diesem Moment zerriss man mir auch die Hose. Ich konnte nur noch scherzen, dass ich es nicht rechtzeitig zur Toilette geschafft hatte.
Dann kam der nächste Transporter, wo man wieder Leute auf mich drauf warf. Mein Kopf war gegen den Fuß eines Polizisten gedrückt. Nicht das beste Kissen. Er konnte definitiv spüren, dass ich auf ihm lag, aber er bewegte sich nicht. Hier durchsuchten sie mein Handy und fanden Fotos vom Ort der Ereignisse. „Schau mal, ganz vorsichtig, nicht das Handy kaputtmachen“, und sie steckten es mir in so die Seitentasche, dass es nicht beschädigt wird, selbst wenn sie mir in die Nieren treten.
Ich hoffte wirklich, dass man uns nicht lange herumfahren würde, die Fahrt dauerte dem Gefühl nach um die 40 Minuten. Man hörte, wie sich die Eisentore öffneten. Erster Gedanke: Schodsina. Sie luden uns aus, jagten uns durch den „Korridor“ mit den Rufen „Laufen! Fresse auf den Boden! Nicht gucken“. Im Transporter war es dunkel, wenn man hinauslief, konnte man nichts sehen und hat auch noch Tritte von hinten bekommen. Ich bin hineingerannt und war von Einsatzkräften im Alter von 35 bis 50 Jahren umzingelt, dort bekam ich einen Schnitt unter dem Auge, der jetzt für immer bleiben wird.
Man konnte hören, wie viel Spaß sie hatten. Sie sagen dir, du sollst rennen, aber du weißt nicht wohin, und sie lachen, schlagen dich und geben dich in der Runde immer weiter. „An die Mauer! An welche? An die, verdammt nochmal! Warum bist du so verdammt dumm?“
Neben der Mauer „erinnerte“ man uns daran, wie wir uns hinstellen sollten: auf den Knien, mit dem Kopf gegen den Zaun. Wenn man seinen Becken nicht gerade halten konnte, wurde man geschlagen. Nach ein paar Stunden durfte man sich auf den Boden legen, und in diesem Moment kamen die BT-Mitarbeiter [Belteleradio, staatlicher Rundfunk], wie ich erst später herausfand. Sie suchten nach Menschen mit Tattoos. Und ich habe den Ouroboros auf meinem Arm tätowiert. Ich beginne, das zu erklären, aber ich kann nicht sehen, wer mit mir spricht. Es wäre lustig, wenn es [Ryhor] Asaronak [Moderator und Propagandist vom Sender CTV] gewesen wäre. Aber als Antwort höre ich nur eine Stimme, die sagte: „Ich weiß doch, wer Ouroboros ist, du musst mir hier nichts erklären“. Ich dachte: Oh, da spricht aber ein kluger Mensch mit mir [lacht].
Auf dem anderen Arm habe ich eine sezierte Ratte als Tattoo. „Du bist selbst jetzt eine sezierte Ratte“, sagte man mir. Ich scherze nicht, weil ich weiß, dass ich sonst was abbekomme. Ich bin stumm, verneige mein Gesicht, aber neben mir steht ein Mann, dessen halber Körper mit Hakenkreuzen volltätowiert ist. Es war keine Überraschung, dass man ihn als Aufmacher fürs Fernsehen genutzt hat. Übrigens, der Typ mit den Hakenkreuzen wurde auch ordentlich zusammengeschlagen. „Warum sind unsere Großväter verdammt nochmal in den Krieg gezogen! Jetzt kriegst du was…“, waren die Worte, die das Ganze begleiteten.
Danach vernahmen sie auch Wiktar Kniga, er und ich saßen dort zusammen. Es ist schade, dass ein Mann, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und einen Job gefunden hatte, zu einem Terroristen und Protestorganisator gemacht wurde. Auf der anderen Seite lag irgendein russischer Blogger. Auch er wurde schwer geschlagen. „Oh, du bist doch ein Spion! Bist du etwa gekommen, um unsere Oppositionellen zu unterstützen? Dann werden dich jetzt zu einer verdammten Pastete verarbeiten!“
„Einige beginnen zu stöhnen und fragen nach einem Krankenwagen und Ärzten.“
Nach einiger Zeit stellte man uns wieder an die Mauer. Es begann zu dämmern, die Einsatzkräfte waren irgendwohin verschwunden. Das Personal der Anstalt, wo wir sind – und ich weiß nicht, wo wir sind – fordert uns auf, uns auf den Boden zu legen. „Aber wenn wir sagen, dass diese Jungs zurückkommen, steht ihr sofort auf“. Einige beginnen zu stöhnen und fragen nach einem Krankenwagen und Ärzten. Die Einsatzkräfte kommen zurück, geben den Leuten einen Klaps und gehen lachend davon. Die Kabelbinder drücken sehr, viele Menschen beginnen, sich zu beschweren. Der Polizist sagt, dass er sie nur alle 30 Minuten bei einer Person lockern darf, wenn es wirklich schlimm ist.
Gegen acht Uhr morgens kamen zwei Frauen in weißen Kitteln, um sich die „Patienten“ anzuschauen. Bei einigen wurden die Wunden mit Peroxid gesäubert, andere wurden mit Jodlösung eingerieben. Mir wurde gesagt: „Ach, na ja… Es ist normal“, und mit Wasserstoffperoxid das Gesicht gesäubert. Auf die Frage, ob ich meine Haare zurückbekommen könnte, antworteten sie: „Wir können sie nur gerade schneiden“. Ich wollte noch Schmerzmittel für meinen Kopf. „Das bekommst du später“. Kein Mitgefühl oder sie haben einfach so getan. Vielleicht reagierten sie so, weil sie Leute gesehen hatten, die zu Tode geschlagen wurden, und ich hatte ja nur einen zerbrochenen Kopf.
„Verdammt, ich werde sie alle hier bestrafen!“ Es stellte sich heraus, dass dieser Schenja der Leiter des Zentrums für vorläufig Festgenommene in Akreszina war.
Sie begannen, einen nach dem anderen zum Ermittler zu schleppen. Und wenn man das Gehirn ausgeschlagen bekommen hatte, ist man ja langsam. „Verdammt, bist du dumm? Bist du geistig gelähmt oder was! Dorthin, habe ich gesagt!“ Und wohin – das weiß man nicht, denn es heißt ja „Geradeaus, nicht umsehen! Verdammt nochmal, den Blick nicht heben! Augen nach unten, verdammt! Bist du dumm, verdammt nochmal?“ Man versteht also, dass man nichts versteht, und da macht dieser „Psychologe“ noch irgendwelche Vorgaben. Unsere Rucksäcke wurden in einen weißen Sack für Baumüll gepackt, die Handys wurden in genauso einen Sack gesteckt und sie schrieben „Riga“ mit einem roten Marker darauf. Danach fügten sie hinzu, dass wir alle erledigt seien, weil man uns an so einem Ort erwischt hatte, und dass man dafür bis zu 25 Jahre bekommen könne. Man hat uns ohne Ende „aufgeheitert“.
Schon auf dem Hof für die Autos stellte man uns an den Mauern entlang wie vorher. Irgendein Typ kam herein und fing an, uns zu beschimpfen, ging auf jeden zu und gab Schläge. Ich bekam Tritte und Schläge mit dem Knüppel dafür, dass ich angeblich Molotow-Cocktails geworfen hatte. „Was bist du denn, Vierauge!“ sagte er zu einem jungen, schmächtigen Typen mit Brille und fing an, ihn zu schlagen. „Hey, Schenja! Was machst du da? Stopp!“ „Verdammt, ich werde sie alle hier bestrafen!“ Es stellte sich heraus, dass dieser Schenja der Leiter des Zentrums für vorläufig Festgenommene in Akreszina war. Er verbot es uns, uns umzusehen, aber ich spähte trotzdem und erkannte ihn danach.
„Gut, dass ich nicht zugegeben hatte, dass ich Musiker bin. Manchen Leuten wurden die Finger zerschlagen, als sie baten, nicht auf die Hände zu schlagen.“
Erst auf dem Hof, wo man spazieren gehen durfte, war es möglich, mit den anderen Häftlingen zu sprechen. Dort fand ich heraus, dass wir in Akreszina waren. Ein Mann erzählte, dass er so stark geschlagen wurde, dass er sich „Nummer zwei“ in die Hose machte. Am Ende warf er die schmutzige Unterhose in den Gully im Hof. Wir waren ungefähr 30 Leute. Für uns alle brachten sie nur eine Zwei-Liter-Flasche Wasser. Später füllten diejenigen, die zur Toilette gebracht wurden, dieselbe Flasche mit Wasser und brachten sie zurück.
Am Abend trafen wir uns wieder mit dem Ermittler. Er befahl mir, das Protokoll zu unterschreiben. „Sie haben doch alles genau so aufgeschrieben, wie ich es gesagt habe, nicht wahr? Dann prüfe ich es.“ Sagen wir mal so, das Gespräch war formell, alles wie am Fließband. Die „Nuancen“ – mein Aussehen – hat er versucht, zu ignorieren. Damit ich das Protokoll unterschreiben konnte, wurden die Kabelbinder entfernt. Oooh! Gut, dass ich nicht zugegeben hatte, dass ich Musiker bin, als man sie aufsetzte. Manchen Leuten wurden die Finger zerschlagen, als sie baten, nicht auf die Hände zu schlagen.
Im Hof zog man die Kabelbinder viel fester an. Nach einer Stunde konnte ich es nicht mehr ertragen. Irgendein Polizist sah, wie blau meine Hände wurden, und hatte Mitleid. Er schnitt den Kabelbinder durch und sagte mir, ich soll so tun, als ob ich den Kabelbinder immer noch an hatte. Als ich aufstehen durfte, wurde es viel besser.
Die Zelle der „Strand-Jungs“
Vom Hof wurde man „höflich“ abgeführt: Nur auf den Kopf hat man keine Schläge bekommen. Alle wurden an die Wand gestellt und aufgefordert, sich bis auf die Unterhose auszuziehen. So wurde die Zelle Nummer 8 zur Zelle der „Strand-Jungs“. Aber wie froh wir waren, dass es dort einen Wasserhahn gab. Es gab kein Essen, auch kein Toilettenpapier, aber eine Toilette – mit einer Tür.
Als man mich zu den nächsten Ermittlern brachte, gaben sie mir wieder irgendwelche Protokolle zur Unterschrift, in die sie irgendwelchen Blödsinn geschrieben hatten. Mir wird klar, dass es unmöglich war, nicht zu unterschreiben, denn dort stand so eine „Donnerfrau“ in schwarzem Overall und zwei Einsatzkräfte neben ihr. Harte Sache! Es stellte sich heraus, dass ich wohl Dinge wie „Stoppt die Kakerlake!“ und „Freiheit für Statkewitsch!“ gerufen hätte. Übrigens unterstütze ich Statkewitsch überhaupt nicht.
Das Licht in der Zelle wurde nie ausgeschaltet. In einer Zelle für sechs Personen befanden sich 40. Keine Matratzen, kahle Pritschen. Übrigens wurde unsere Zelle von Asaronak im Fernsehen gezeigt. Ich schlief auf dem Tisch, an dem er saß. Der Boden war alt, aus Holz, aber bestrichen. Am Morgen des 12. August brachte man Brot und teefarbenes Wasser. Das war ein Durchbruch. Man gab uns sogar etwas zum Mittagessen. Ich glaube, es war mit Wasser gekochter Brei aus Perlhirse. Mir war nicht nach Essen zumute, ich hatte in der Nacht vor lauter Stress kaum geschlafen. Übrigens sprachen wir in der Zelle kaum miteinander. Es stellte sich heraus, dass dort ein Student von meiner Universität war, der mich wegen des zerschlagenen Gesichts und der Haare, die an den Wunden klebten, nicht erkannt hatte. Ein Typ, der neben der Metrostation Kamiennaja Horka aus dem Auto gezerrt wurde, merkte an, dass die Ergebnisse zeigen, wer welche Art von Person ist. Und da kam alle Art von Dreck ans Licht.
„Es gab einige Minderjährige dort. Einem wurde so der Kopf zerschlagen, dass er ständig mit einem unsichtbaren Freund sprach…“
Es gab einige Minderjährige dort. Einem wurde so der Kopf zerschlagen, dass er ständig mit einem unsichtbaren Freund sprach, zu dem er sagte: „Gib mir das Messer, ich werde alle hier töten“. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er tat mir leid.
Bei meiner nächsten Verabredung mit dem Ermittler machten sie Videoaufnahmen von allen meinen Tattoos und sagten: „Du bist wohl ein Anarchist“. Und für mich ist sie [die Theorie des Anarchismus] eine schöne Utopie, die ich nicht unterstütze. Deshalb machte ich einen kleinen Scherz darüber. Als sie herausfanden, welche Art von Bildung ich habe und wo ich arbeite, „fiel ihnen die Zigarette aus dem Mund“, so erstaunt waren sie.
Als man uns hin und her führte, sagte der Polizist, wir sollten vorsichtig sein, weil in der Zelle viele Menschen mit HIV seien. Ich komme in die Zelle zurück und sage: Wir haben diese Info bekommen. Und der Typ mit den Hakenkreuzen sagt: „Ja, ich habe HIV“. Oh Mann… Und ich saß die ganze Zeit neben ihm, wir tranken Wasser aus der gleichen Flasche, und er war ja voller Wunden. Es wäre wirklich schade, so ein „Geschenk“ bekommen zu haben.
Am 12. August begann man, Verwandte zu kontaktieren, damit sie noch vor der Gerichtssitzung für die „Strand-Jungs“ Kleidung mitbringen würden. Man fing an, Toilettenpapier zu verteilen. Die Sachen, die meine Mutter mitbrachte, haben mich nie erreicht. Die Gerichtsverhandlung fand im obersten Stockwerk des Gebäudes statt. Wir waren alle immer noch in den gleichen Unterhosen. Im winzigen Büro waren nur drei Personen: der Richter, der Gerichtssekretär und der Angeklagte. Der Richter trug eine Maske, der Sekretär ebenso. Aber ihre Augen… Man konnte ja ohne die Kleidung alles sehen. Ich hatte das Gefühl, dass es beim Richter einen Eindruck hinterließ und dass er Mitleid mit mir hatte. Aber die Schraube des Systems funktionierte, ich bekam 11 Tage im Gefängnis. Einigen wurde sofort ein Zettel ausgehändigt, auf dem stand, dass sie als Tatverdächtige nach Artikel 293 Teil 2 des Strafgesetzbuches gelten. In der Zelle war deutlich zu spüren, dass die Leute unter Schock standen. Die zwei Jungs, die ihre Volljährigkeit hinter Gittern feierten, hatten Steine vom Dach des Supermarktes „Riga“ geworfen. Bei ihnen war es sofort klar – Artikel 293 Teil 2.
Am 13. August gab es schon drei Mahlzeiten und es war sehr „lecker“. In der Nacht zum 14. August gingen für eine halbe Stunde die Lichter aus und die Polizisten waren nicht da. Und wir hörten sie die ganze Zeit, wir hörten, wie sie Leute verprügelten. Man hatte das Gefühl, dass es leichter wird. Sie fingen an, mich immer wieder von einer Zelle in eine andere zu verlegen. Man brachte mich zu den neuen Ermittlern, die mir sagten, dass ich als Zeuge in dem Fall zu den Massenunruhen auftreten würde. Sie fragten auch, ob ich auf dem Handy irgendwelche Informationen oder Fotos hatte.
Als ich in eine Vier-Personen-Zelle verlegt wurde, fand ich den Tadschiken aus dem Polizeitransporter wieder. Wir sprachen miteinander, ich hoffe, dass er verstehen konnte, dass Belarusen normale Menschen sind und nicht solche Bestien wie die Einsatzkräfte. Man gab uns Mittagessen, sogar mit Fleisch! Danach kehre ich wieder in die Zelle der „Strand-Jungs“ zurück. Wie geräumig es dort geworden war!
„Meine Mutter dachte, dass ich wegen meiner Wortgewandtheit richtig am Ende bin, und schrieb eine kleine Erzählung darüber, wie sie sich fühlte. Das Ende heißt ungefähr so: Man hat mich zwar verprügelt, aber ich lebe und lächle. Manchmal lese ich sie wieder und weine.“
Am 14. begann man, Leute freizulassen, obwohl wir dachten, dass wir als nächste Etappe nach Schodsina kommen. Sie fragten, an welchem verlassenen Ort sie uns fahren sollten, und letztendlich wurden wir zwischen dem Polizeirevier des Bezirks Frunsenski und dem Friedhof Kalwaryiskija freigelassen. Eine Minute später trafen dort Freiwillige ein, die herausgefunden hatten, dass im Polizeitransporter Gefangene herausgebracht werden. Ich bat darum, nach Akreszina zurückzukehren, denn ich hatte das Gefühl, dass meine Familie dort wartete. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ich nur einmal auf der Liste von Akreszina aufgetaucht war, was meine Mutter in einen Nervenzusammenbruch stürzte – sie wusste die ganze Zeit nicht, wo ich war und ob ich noch lebte. Meine Mutter dachte, dass ich wegen meiner Wortgewandtheit richtig am Ende bin, und schrieb eine kleine Erzählung darüber, wie sie sich fühlte. Das Ende heißt ungefähr so: Man hat mich zwar verprügelt, aber ich lebe und lächle. Manchmal lese ich sie wieder und weine. Es ist schön zu wissen, dass man so geliebt wird.
In der Notaufnahme wollte man mich stationär aufnehmen, aber ich lehnte ab. Ich holte mir viele Medikamente und ging zur Polizei, um eine Anzeige wegen Körperverletzung zu schreiben. Man gab mir eine Überweisung für eine erneute Feststellung der Verletzungen. Das war an einem Freitag. Und wo meine Dokumente sind, ist immer noch unbekannt. Bereits am Montag riefen sie an – „man hat einen Fall eröffnet“. Ich kontaktierte meine Anwältin und ging mit ihr zum Ermittlungskomitee. Anscheinend war der Ermittler sogar gekränkt und beschwerte sich bei jemandem am Telefon: „Chef, so eine force majeure, ich wusste nicht, dass er eine Anwältin mitbringt“. Im Büro versuchte er, sie loszuwerden, unter dem Vorwand, dass er sich meine Verletzungen anschauen wollte. Die Anwältin hingegen sagte, sie habe auch einen medizinischen Hintergrund und habe keine Angst vor Menschen mit Verletzungen. Am Ende war ich nie allein mit dem Ermittler.
Es stellte sich heraus, dass ich ein Verdächtiger war. Da gaben meine Knie nach. Es war klar, dass ich für eine sehr lange Zeit auf dem Radar bleiben würde. Meine Mutter riet mir, das Land zu verlassen. Ich besorgte mir so schnell wie möglich einen neuen Reisepass und ein Visum bei der litauischen Botschaft. Am selben Tag, an dem das Visum fertig war, verließ ich Belarus. Ich ließ mein ganzes Leben zurück, nur meine Musikinstrumente nahm ich mit.
P.S. Am Anfang Februar 2021 beantragte Wjatschka in Litauen die Anwendung der universellen Gerichtsbarkeit, wenn es um die Untersuchung von Folterungen belarusischer Demonstranten geht. Er sagt, das sei das Einzige, was er jetzt noch gegen das „schnauzbärtige Regime“ tun könne.
Autor: August2020 Projektteam
Foto: August2020 Projektteam