August 2020  — Das Medienprojekt „August2020“ (august2020.info/de) sammelt und veroffentlicht Zeugenaussagen uber Folterungen, Verletzungen und Misshandlungen wahrend der friedlichen Proteste, die nach den Wahlen in Belarus im Jahr 2020 stattfanden.

Folter und Gewalt im Jahr 2020 — die Geschichte von Nikita

22 Jahre alt, Student. „Die Garagentore wurden geschlossen und das Einzige, was man dahinter hören konnte, war das Geräusch nachladender Maschinengewehre“

Nikita (Name auf Wunsch des Protagonisten geändert) ist ein junger Mann, der sich früher nie für Politik interessiert hat. Heute erinnert er sich mit Humor an den August 2020 und spricht gelassen über die Ereignisse und die Gewalt, deren Opfer er selbst geworden ist. Diese Geschichte wirft wieder einmal die gleichen Fragen auf: „Woher nehmen die Einsatzkräfte ihre Brutalität?“ und „Warum und wieso tun sie das?“ Wahrscheinlich kennen sie die Antworten nicht mal selbst. Eines ist klar: Während das große politische Spiel stattfand, hatten diese Menschen die größte Schlacht ihres Lebens verloren – den Kampf um den Titel eines Menschen. Denn in jeder Situation menschlich zu bleiben, ist wahres Heldentum.

„Die Menschen wurden wie Waren reingeschoben“

Nikita erinnert sich an Brest in den ersten Tagen nach den Wahlen. Die Menschen waren empört über die Wahlmanipulationen, überall schallte das Lied „Veränderungen“ aus den Autos und es lag so ein Gefühl in der Luft, dass es zu Protesten kommen würde.

– Bis 2020 war mir das Thema Politik egal. Aber die riesigen Schlangen von Menschen, die für ihren Kandidaten unterschreiben wollten, eine aktive Teilnahme von Leuten, die ich so noch nie gesehen hatte, das konnte nicht anders als inspirierend sein! Die Menschen wollten etwas Besseres, und eben das zwang sie dazu, auf die Straße zu gehen. Und auch mich.

Zusammen mit einem Freund spazierte Nikita durch die Stadt und sah, wie die Einsatzkräfte ins Zentrum vorrückten. Zuerst kontrollierten sie die persönlichen Gegenstände der Passanten, und nach einer Weile begannen sie, die Menge aufzulösen. Ein Teil blieb auf der Sowjetskaja-Straße, während der andere Teil die Allee blockierte. Man begann, die Menschen zurückzudrängen. Einige versuchten, Barrikaden auf den Straßen zu errichten, wurden aber auseinander getrieben.

– Um ein Uhr nachts fanden wir uns auf der Sowjetskaja-Straße wieder. Mein Handyakku war leer, also rief ich meine Schwester vom Handy meines Freundes an. Sie war kurz davor, sich auf den Heimweg zu machen von Freunden, die im Zentrum wohnten. Wir vereinbarten, dass ich dorthin komme und wir gemeinsam heimfahren. Meine Schwester und ihr Mann gingen an den Einsatzkräften vorbei, sie wurden ruhig durchgelassen, und ich dachte, ich würde auch kein Problem haben. Ich wollte meine Familie nicht warten lassen, also begann ich, in ihre Richtung zu joggen.

Keine Menschenseele auf der Hauptstraße, nur am Ende der Sowjetskaja-Straße stand eine Kette von Einsatzkräften. Nikita hielt an und fragte, ob er hier passieren durfte, um nach Hause zu gehen. Die Einsatzkräfte zeigten auf einen seitlichen Durchgang: „Schnell! Und geh hier aus dem Weg“.

– Ich gehe dorthin, aber die Einsatzkräfte bewegen ihre Schilde nicht auseinander. Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht und schaue mich verwirrt um. Und dann senken sie die Schilde, zwei Männer laufen heraus, schnappen mich und führen mich durch den Korridor zwischen den Einsatzkräften. Ich tat so, als ob ich Angst hätte und nichts verstehen würde. Ich stehe da, mit gesenktem Kopf. Jemand von den Einsatzkräften, ein guter Mensch, warnte mich: „Nimm die Arme hoch und bedecke deinen Kopf“. Ich gehorchte und so schleppte man mich, schiebend und drängelnd, zur nächsten Polizeistation.

Auf der Station waren noch andere Festgenommene. Nikita glaubt, dass er glimpflich davongekommen ist, denn viele Menschen waren geschlagen worden, zum Beispiel hatte ein Mann neben ihm einen bandagierten Arm. Es stellte sich heraus, dass man ihm im Polizeitransporter mit einem einzigen Knüppelschlag den Arm bis auf die Knochen aufgeschlitzt hatte. Er erzählte Nikita, dass der Knüppel ungewöhnlich gewesen sei – „irgendwas metallähnliches“. Dort waren auch Ärzte: Sie versorgten Wunden und brachten diejenigen, die ohnmächtig geworden waren, wieder zu Bewusstsein.

„Sie versuchten, einen Typen in die Zelle zu schieben, aber er konnte sich nicht bewegen. Er schrie, dass seine Rippen gebrochen seien. Er schrie und schrie und wurde dann ohnmächtig. Sie brachten ihn raus und wir sahen ihn nie wieder“

Dort versuchte ich herauszufinden, was vor sich ging. Einer der Häftlinge war sich sicher, dass ein Schichtwechsel kommen würde und man uns alle freilassen würde. Am 9. August hatte man ihn festgenommen und am nächsten Morgen wieder freigelassen. Mein Handy war in meiner Hosentasche; ich beschloss, es in den Rucksack des Typen zu stecken, der mit uns war. Eine Woche zuvor war er 18 Jahre alt geworden, also dachte ich, man würde ihn früher freilassen. Das beabsichtigten die Einsatzkräfte auch, denn sie dachten, er sei noch minderjährig, aber nach einer Alterskontrolle wurde der Junge mit Tritten zurückgeschickt.

Die Gefangenen wurden anderthalb Stunden lang in der Zelle festgehalten. Später kamen mehrere Polizeitransporter auf die Polizeistation zu. Die Einsatzkräfte begannen, die Menschen in Gruppen herauszuführen und in die Transporter zu packen. Nikita erinnert sich, dass „die Menschen wie Waren reingeschoben wurden“ – so viele, wie hereinpassen konnten. Zuvor musste jeder durch den schon bekannten Korridor der Schlagstöcke gehen. Als der Polizeitransporter losfuhr, fragte einer der Gefangenen die Einsatzkräfte, wohin sie gebracht würden. Sie antworteten, dass sie es nicht wüssten, weil sie nicht von hier seien. Dies bestätigte Nikitas Theorie, dass die Einsatzkräfte aus verschiedenen Regionen geholt wurden.

Ich stehe da, mit gesenktem Kopf. Jemand von den Einsatzkräften, ein guter Mensch, warnte mich: „Nimm die Arme hoch und bedecke deinen Kopf“. Ich gehorchte

– Ich kenne die Stadt gut, also konnte ich erraten, wohin wir abbogen. Man brachte uns in eine Militärkaserne, wo ich bei einer Veranstaltung aufgetreten war, als ich in der Ehrengardekompanie diente. Als wir den Transporter verließen, wurden wir mit Knüppeln geschlagen, aber dieses Mal war es nur ein Schlag. Man führte uns in die Turnhalle. Diejenigen, die sich wehrten und mit den Einsatzkräfte sprachen, bekamen mehr ab, während diejenigen, die sich ruhig verhielten, nur ein paar Mal geschlagen wurden. Ich gehörte in die zweite Kategorie.

Man setzte uns auf den Hintern, die Beine nach vorne, die Knie gebeugt. Man musste die Hände hinter dem Kopf halten und die Ellbogen auf den Knien. Der Abstand zwischen uns betrug etwa 10 Zentimeter. Überall liefen Einsatzkräfte herum und kontrollierten uns. Man durfte die Körperhaltung nicht ändern. Für jeden Versuch, sich das Leben einfacher zu machen, gab es einen weiteren Schlag. Man hat auch grundlos Schläge bekommen, „prophylaktisch“ sozusagen.

Um sicherzustellen, dass die Festgenommenen keine Gelegenheit hatten, sich auszuruhen oder einzuschlafen, wurde das Licht in der Halle angelassen und die Einsatzkräfte schlugen mit Schlagstöcken auf ihre Schilder ein. In dem überfüllten Raum wurden die Menschen vor Erschöpfung und Schlägen ohnmächtig. Für sie rief man Ärzte, die sie vor Ort wieder zu Bewusstsein brachten. Wenn das nicht möglich war, wurden die Gefangenen von Ärzten mitgenommen und nie wieder zurückgebracht.

„Dreimal in 24 Stunden reichte man eine Zwei-Liter-Flasche Wasser herum“

Die Einsatzkräfte ließen nur die Minderjährigen gehen. Ihre Eltern kamen, um sie abzuholen. Laut Nikita wurden die jungen Leute die ganze Zeit geschlagen, bevor sie freigelassen wurden – „während man durch die Korridore geführt wurde, interessierte es niemanden, wer wie alt war“. Es waren nicht viele Frauen da, etwa sechs. Sie saßen in einer Ecke der Halle und wurden angewiesen, zu schweigen. Sie weinten, schrien und flehten um Hilfe. Niemand antwortete auf ihre Bitten. Zunächst wurden die Frauen nicht angefasst, aber wenn sie etwas verlangten, wurden sie geschlagen – „werdet nicht frech“. Denjenigen, die Kinder hatten, erlaubten die Einsatzkräfte, ihre Familien anzurufen.

– Es gab einen Mann in schwarzer Ausrüstung, der sich negativ über uns äußerte. Er erzählte, wie Einsatzkräfte verletzt wurden und dass Menschen sie mit Steinen beworfen hätten. Dass wir alle Monster und Unmenschen seien. Und dass man uns sowieso vergasen müsste.

Auf die Toilette durfte man nur einzeln hin. Man musste in demselben verbeugten Zustand laufen, während man von hinten mit Knüppeln angestachelt wurde. Die Tür der WC-Kabine musste offen bleiben und es was egal, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Für die Männer war es die einzige Gelegenheit, aufzustehen, sodass einige mehrmals nachfragten.

– Dreimal in 24 Stunden reichte man eine Zwei-Liter-Flasche Wasser herum. Es reichte nicht für alle. Ich versuchte, die vorbeilaufenden Einsatzkräfte leise zu fragen, was los war und wie lange wir hier bleiben würden. Einer antwortete mir genauso leise, dass er es nicht wüsste, während der andere so laut schrie, dass es der ganze Raum hörte: „Halt deine verdammte Klappe“.

So verging ein Tag und gegen Abend des 11. August begannen sie, uns einzeln herauszuholen, um Fotos zu machen und Daten aufzunehmen. Nachdem sie uns gezählt hatten, stellte sich heraus, dass in der Halle 340 Personen waren.

Die Einsatzkräfte wechselten sich auch ab. Zunächst wurden wir von den „Kosmonauten“ bewacht, dann von Militärleuten in Tarnkleidung und schließlich von Menschen in schwarzer Kleidung ohne Kennzeichen. Im Gespräch mit den Jungs, die neben mir saßen, erfuhr ich, dass einige von ihnen aus irgendeiner Garage hierher versetzt worden waren. Dort war einem Menschen schlecht geworden. Er lief blau an und blieb atemlos liegen. Die Garagentore wurden geschlossen und das Einzige, was man dahinter hören konnte, war das Geräusch nachladender Maschinengewehre, es war erschreckend.

Es gab einen Mann in schwarzer Ausrüstung, der sich negativ über uns äußerte. Er erzählte, wie Einsatzkräfte verletzt wurden und dass wir alle Monster und Unmenschen seien

Ein Polizist zwang uns, in der Hocke zu sitzen, und als er ging, bewachte uns einer der Einsatzkräfte in schwarzer Uniform. Er erlaubte uns, die Position zu ändern, bat uns aber, uns wieder „richtig“ hinzusetzen, sobald der Polizist auftaucht. Einmal schafften wir es nicht rechtzeitig. Der Polizist fing an zu schreien und die Einsatzkraft verteidigte uns: „Warum lässt du sie nicht in Ruhe!“

Auch Menschen in Zivil mit Masken im Gesicht kamen in die Halle. Sie nahmen Menschen mit und brachten sie weg. Wohin und warum wurde nicht gesagt. Nikita vermutet, dass es sich um KGB-Mitarbeiter handelte. Man überprüfte die Handys von allen Festgenommenen. Und man fand Leute mit russischen SIM-Karten. Man führte sie heraus und holte aus ihnen Information mit Schlägen.

– Ein Mann wurde nicht zur Toilette begleitet und er pinkelte sich schließlich ein. Erst danach durfte er aufstehen, um sich zu waschen. Bei jemandem fand man Pilze. Alle dachten, der Typ sei am Ende. Man führte ihn heraus und befragte ihn außerhalb der Halle. Später, als wir auf die nächste „Etappe“ verlegt wurden, traf ich diesen Mann und er erzählte mir, dass er nach dem Einkauf das Geschäft verlassen wollte. Unter den eingekauften Lebensmitteln waren Champignon-Pilze. Man nahm ihn und die Einkaufstüte mit und brachte ihn mit der Tüte in die Halle. Als sie herausfanden, was es für Pilze waren, brachten sie ihn wieder zurück.

Einmal kam ein Mitglied der Einsatzkräfte mit einem roten Barett in die Halle und sagte seinen Leuten, dass er keine Angst vor unseren Blicken habe. Er rief, dass alle ihre Köpfe heben sollten. Das war so eine große Erleichterung! Alle hatten davon geträumt. Und er sagte: „Mir ist vollkommen klar, dass es Menschen gibt, die zufällig hier gelandet sind, aber meine Verwandten waren an diesem Tag nicht auf der Straße spazieren. Wie man so schön sagt: Wo gehobelt wird, da fallen Späne!“ Daraufhin drehte er sich um und ging. Irgendwie ähnelte er dem Leiter dieser Kaserne.

„Die Menschen, die in der Untersuchungshaftanstalt arbeiteten, waren auf unserer Seite“

Anschließend wurden die Gefangenen in Gruppen aufgeteilt und in Polizeitransporter gepackt. Nikita wurde in eine Untersuchungshaftanstalt in der Nähe des Zentralen Kaufhauses gebracht. Dort wurden alle Gefangenen durch den üblichen Korridor mit Schlagstöcken geführt und später in eine Kellerzelle für acht Personen geschickt, in die dank der Bemühungen der Einsatzkräfte 24 Personen hineinpassten.

– Wir freuten uns, dass wir uns endlich aufrichten konnten. Die Menschen, die in der Untersuchungshaftanstalt arbeiteten, waren auf unserer Seite. Sie gingen und beschwerten sich, dass das, was vor sich ging, Gesetzlosigkeit war. Sie rieten uns, die Einsatzkräfte anzuzeigen, halfen uns in jeder erdenklichen Weise, brachten uns Zigaretten und Wasser. Wir wussten nicht, was als Nächstes mit uns passieren würde. Wir waren uns sicher, dass man uns ruhig als Vaterlandsverräter bezeichnen könnte.

In der Zelle versuchten wir, uns irgendwie gegenseitig zu unterhalten. Ich lernte, wie man das Kartenspiel „Tausend“ mit Streichhölzern spielt. Als einem Häftling ein Päckchen mit einigen Blättern Papier ausgehändigt wurde, spielten wir „Schiffe versenken“. Unter uns war ein Geschäftsmann aus Polen, ein ehemaliges Mitglied der Einsatzkräfte, der uns erzählte, welche Art von Übungen sie dort abhielten. Alles anständige Menschen unterschiedlichen Alters. In dieser Zelle verbrachten wir einen Tag.

Am 13. August, gegen 4 Uhr morgens, öffnete sich die Zellentür und sieben Personen wurden vor das Gericht geladen. Ich flog so raus, wie ich war. Schuhe und Kleidung zog ich erst im Flur an. Wir wurden zum Polizeitransporter gebracht und hineingesteckt, aber nicht mehr geschlagen. Sie sagten, sie müssten später wiederkommen, um unsere Sachen zu holen.

Statt des versprochenen Gerichtsprozesses wurden die jungen Leute in irgendeine LKW-Garage gebracht und in Reihen aufgestellt. Man führte ein Gespräch mit den Gefangenen darüber, wie schlecht sie sich verhalten.

– Sie sagten, dass manche Leute bezahlt worden seien, dass jemand in den ersten Reihen Steine geworfen hätte und dann weggelaufen sei, und man stattdessen uns geschnappt hätte. „Ja, der Präsident ist zu lange im Amt, aber das ist nicht die Antwort“, sagte ein Mann in den 40ern. Er sagte, sie hätten Bilder von allen Demonstranten und schlug vor: „Gebt zu, dass ihr in den ersten Reihen wart, und ich gebe euch mein Wort, dass euch nichts passieren wird. Wer nicht gesteht, es gibt hier viele Garagen – ich werde mich umdrehen“. Ein paar Leute sagten das, was sie von uns hören wollten, sie wurden hinausbegleitet und wir sahen sie nicht wieder.

Ich hatte zuvor auf dem Mascherow-Prospekt eine Blendgranate in die Brust bekommen und war danach nie mehr in den ersten Reihen. Ich überlegte: Zähle ich jetzt dazu oder nicht? Ich beschloss, nichts zu sagen, und tat damit das Richtige. Wir standen sechs Stunden lang in dieser Garage. Hin und wieder wechselte man die Reihen ab, damit wir nicht erfrieren würden. Die Nächte waren bereits kalt, also schlossen die Einsatzkräfte die Tore. Jemand durfte sogar rauchen.

Gegen 10 Uhr wurden wir herausgeholt, um ein Protokoll der Festnahme zu unterschreiben, und dann in Polizeitransportern zum Gericht gebracht. Als man uns ins Auto setzte, kam wieder der Polizist, der uns belehrt hatte, und sagte: „Ich habe mich euch gegenüber human verhalten, obwohl ich andere Befehle hatte. Ich bin ein gewöhnlicher Polizist, der in der Stadt arbeitet. Wenn ihr mich trifft, sagt hallo, anstatt mir ins Gesicht zu spucken“.

Wir fragten die Einsatzkräfte direkt, ob man uns beim Herausgehen wie immer schlagen würde. Sie lachten und sagten, dass es vor dem Gericht definitiv keine Schläge gibt. Sie rieten uns, den Prozess nicht in die Länge zu ziehen: „Übertreibt nicht, fragt nicht nach einem Anwalt, sonst wird der Richter einen schlechten Eindruck von euch bekommen und ihr kriegt eine längere Strafe“.

„Ich sah so krank aus, dass der Polizist mir seine Hilfe anbot“

Vor Gericht verfolgte Nikita nur eine Strategie: Er ließ den Kopf hängen, stellte alles infrage, tat so, als hätte er Angst und würde nichts verstehen. Der Richter fragte nach Details, nach seinem Studienort. Der junge Mann war besorgt, dass er nach den Kundgebungen rückwirkend exmatrikuliert werden würde, aber die Universität hat nie etwas darüber erfahren.

– Ich wurde mit einer Geldstrafe in Höhe von 30 Basissätzen belegt und freigelassen. Ich sah so krank aus, dass der Polizist mir seine Hilfe anbot – einen Krankenwagen zu rufen. Ich lehnte ab und machte mich selbst auf den Weg nach Hause. Die Reaktion meines Vaters, als ich nach Hause kam, fand ich gut. Wir begrüßten uns und er sagte: „Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen“. „Und hier siehst du mich“. Meine Familie hatte nach mir gesucht. Meine Schwester kam zur Kaserne, aber genau wie den anderen Leuten, die nach ihren Angehörigen suchten, wurde ihr gesagt, dass niemand auf dem Gelände sei.

Einen Tag später ging ich zum Ermittlungskomitee in der Nähe der Puschkin-Universität. Dort bekam ich meine Schlüssel zurück, aber nicht mein Handy. Einen Monat später bekam ich einen Anruf von dort, dass das Handy gefunden worden war. Ich bin hingefahren, obwohl mir alle davon abgeraten hatten. Sie hatten alle meine Fotos und Videos auf ihren Computer heruntergeladen. Sie fragten mich, ob ich Videos und Fotos gemacht hätte. Ich antwortete, dass ich es für mich selbst gemacht hätte. Ich musste alle Aufnahmen erklären. Irgendwann kam der Ermittler herein und sagte: „Oh, der Selfie-Liebhaber ist hier“. Da wurde mir klar, dass sich die ganze Abteilung meine Fotos angeschaut hatte.

Mit Hilfe des Menschenrechtszentrums „Viasna“ konnte Nikita die Geldstrafe bezahlen. Er hat keine Beschwerde an das Ermittlungskomitee geschrieben – er wollte nicht noch einmal vor den Ermittlungsbehörden erscheinen. Es gab auch keinen Grund, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

– Ja, ich hatte ein paar blaue Flecken, aber verglichen mit den anderen, die mit Behinderungen wieder herauskamen, bin ich gut davongekommen. Das ist eine erschütternde Lebenserfahrung. Ich hoffe, dass ich so etwas nie wieder erleben werde. Meine Psyche ist ziemlich stark, also verbrachte ich einige Tage zu Hause, trank Tee, und alles war wieder gut.

Nikita ist zuversichtlich, dass sich die Dinge ändern werden, es kann gar nicht anders kommen. Er bereut es nicht, so etwas durchgemacht zu haben.

– Ob der Protest richtig oder falsch zum Ausdruck gebracht wurde, das weiß ich nicht, denn Lukaschenko ist immer noch an der Macht. „Aber die Leute haben sich als vernünftige Menschen erwiesen, die sich anständig und ordentlich verhalten, also kann ich mich nicht beschweren“, scherzt der junge Mann. Aber die Art und Weise, wie sich die Einsatzkräfte verhalten haben… Meist sind es einfach Menschen mit einer ungesunden Psyche, und ich sehe keinen Grund, mich über sie zu ärgern. Einer der Einsatzkräfte sagte zu einem jungen Mann mit langen Haaren: „Oh, Weib! Du hast lange Haare, du bist ein Weib!“ Was kann man ihm anhaben? Solche Menschen sind nicht sehr klug.

P.S. Hat keinen Antrag beim Ermittlungskomitee eingereicht

Autor: August2020 Projektteam

Illustrationen: August2020 Projektteam

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