„Wir alle verstehen, dass Ihr Cousin gestorben ist, aber Sie müssen die Zeit absitzen.“
In Belarus werden Angehörige von Kämpfern, die bei den ukrainischen Streitkräften aktiv sind, systematisch inhaftiert. Sjarhej Bandarenka wurde bei einem Verhör zusammengeschlagen und landete im Krankenhaus, woraufhin es ihm gelang, aus dem Land zu fliehen.
Sjarhej Bandarenka, ein Cousin von Wassil „Sjabro“ Parfjankou, der im Kampf auf der ukrainischen Seite gefallen ist, erzählte in einem Interview mit „Belsat“, wie das Lukaschenko-Regime Angehörige von belarusischen Freiwilligen verfolgt.
Wassil „Sjabro“ Parfjankou starb am 26. Juni bei Kämpfen in der Nähe von Lyssytschansk – am selben Tag, an dem der Kommandeur des Wolat-Bataillons und mindestens zwei weitere Kämpfer getötet wurden. Nach den Berichten über Wassils Tod nahmen die Sicherheitskräfte Sjarhej zunächst für 15 Tage in Gewahrsam. Auch Wassils Schwester und Mutter wurden noch zu seinen Lebzeiten festgenommen und 10 Tage lang eingesperrt. Seine Mutter wurde gezwungen, eine Videobotschaft aufzunehmen, in der sie die Aktivitäten ihres Sohnes verurteilte. Laut Sjarhej Bandarenka besuchten die Einsatzkräfte viele Angehörige von Mitgliedern des Kalinouski-Regiments, nicht nur die Angehörigen von Parfjankou.
Am 4. Juli erfuhr Sjarhej Bandarenka, dass Wassil Parfjankou aller Wahrscheinlichkeit nach gestorben war, aber es bestand immer noch die Möglichkeit, dass er in Gefangenschaft geraten sein könnte. Zwei Tage später stellte sich heraus, dass er tatsächlich tot war. Dies erfuhr Sjarhej von einem belarusischen Aktivisten, der die Kämpfer kennt. Sjarhej verabredete sich mit dem Aktivisten, um ihn zu Hause zu besuchen und sich nach Wassils Schicksal zu erkundigen, aber er wurde neben dem Haus des Aktivisten von den Sicherheitsbehörden festgenommen und auf die Polizeiwache gebracht. Die Sicherheitskräfte suchten sein Handy durch, drohten ihm aber nicht mit einem Strafverfahren, erinnert sich Bandarenka:
Man hatte den Eindruck, dass sie selbst wollten, dass alles schnell vorbei ist, damit das Kalinouski-Regiment zurückkommt und Belarus befreit. Ich sah Mitleid in ihren Augen. Sie sagten mir wortwörtlich: ‚Wir alle verstehen, dass Ihr Cousin gestorben ist, aber Sie müssen die Zeit absitzen.
Sjarhej wurde wegen einer mutmaßlichen „geringfügigen Ordnungswidrigkeit“ zu 15 Tagen Haft verurteilt, die er unter unmenschlichen Bedingungen verbringen musste: keine Decken, Kissen oder Matratzen, er musste entweder auf dem Boden oder auf Metallkojen schlafen.
Später wurde Bandarenka ein zweites Mal festgenommen und durchsucht. Im Gebäude des Staatssicherheitsdienstes von Belarus (GUBOPiK) wurde er mit dem Kopf auf den Boden gelegt und durfte sich nicht umsehen, aber er konnte erkennen, dass an den Wänden russische Flaggen hingen. Nachdem er verhört und zusammengeschlagen worden war, wurde er zur „normalen Polizei“ gebracht, wie die Staatssicherheitsleute selbst sagten. Auf dem Weg dorthin fanden sie auf seinem Handy Beiträge, in denen ein Film über Wassil geteilt wurde, sowie Abonnements von „extremistischen“ Kanälen. Sie drohten, dass er dafür sehr lange ins Gefängnis kommt.
Auf dem Polizeirevier musste sich Sjarhej ausziehen, und er konnte nur mit Schwierigkeiten sein eigenes Hemd ablegen. Die Polizisten bemerkten dies und einer fragte, ob er schwer geschlagen wurde, und rief daraufhin einen Krankenwagen. Ins Krankenhaus wurde Bandarenka in Handschellen gebracht, sogar auf die Toilette wurde er von einem Mann mit einer Maschinenpistole begleitet.
Die Ärzte wussten alle, was passiert war. Sie fragten mich: Wurde ich geschlagen, wurde ich nicht geschlagen? Ich schielte mit den Augen auf diesen Oberleutnant, damit die Ärzte verstehen würden, dass ich nicht die Wahrheit sagen konnte. Ich sagte mehrmals: Ich bin gefallen, ich bin gefallen.
Sjarhej beschloss, dass er einen weiteren Arrest nicht überleben würde. Er sollte drei Tage im Krankenhaus bleiben, doch schon am nächsten Morgen floh er zu einem Freund und schrieb an die BYSOL-Stiftung. Dadurch gelang ihm die Flucht über Russland nach Polen. Er befindet sich jetzt in einem Flüchtlingslager und weiß immer noch nicht genau, wer ihm zur Flucht verholfen hat.