1.000 Tage der Unfreiheit: Sergej Tichanowski steht wieder vor Gericht
Sergej Tichanowski spielte eine Schlüsselrolle am Anfang der Proteste 2020 in Belarus und wurde der erste politische Gefangene im Bezug auf die Präsidentenwahl 2020. Seit 1.000 Tagen wird er aufgrund erfundener Anschuldigungen hinter Gittern gehalten. Am 14. Februar fand ein neuer Prozess für Tichanowski statt, berichtet die Deutsche Welle. Dem Video-Blogger, der zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, drohen bis zu zwei weitere Jahre Haft.
Von YouTube zur Politik
Sergej Tichanowski erschien auf der politischen Bühne in Belarus im Jahr 2020 ziemlich überraschend. Zuvor war er als Autor des YouTube-Kanals „Country for Life“ bekannt. Zusammen mit einem kleinen Team reiste Tichanowski durch Belarus und erzählte in Videos, mit welchen Problemen die Bewohner der Provinz zu kämpfen haben. Und sie äußerten ehrlich ihre Gedanken und Ansichten vor der Kamera. In weniger als einem Jahr wurde der Kanal zum beliebtesten im belarussischen Segment von YouTube geworden und sammelte um sich politisch aktive Belarussen. Im Mai 2020 erschien ein Video, in dem Tichanowski erklärte, er wolle bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren.
Ein schicksalhafter Wechsel
Belarussische Behörden überwachten Sergejs Aktivitäten und kurz vor Beginn des Wahlkampfes wurde er für 15 Tage verhaftet, angeblich wegen der Organisation einer nicht genehmigten Massenveranstaltung. Seine Frau, Swetlana Tichanowskaja, ließ sich schließlich an seiner Stelle registrieren. Nach Beendigung der administrativen Verhaftung wurde Sergej Tichanowski zum Stellvertreter von Swetlana und nahm aktiv an der Kampagne teil, um Unterschriften zu ihrer Unterstützung zu sammeln. Die Rekordzahl der Teilnehmer an den Mahnwachen in ganz Belarus beunruhigte noch mehr die Machthaber.
Neue Verhaftung und Treffen mit Lukaschenko
Am 29. Mai 2020 wurde Tichanowski nach einem inszenierten Zusammenstoß mit einem Polizisten in Hrodna erneut verhaftet. Polizeibeamten sollen bei einer Durchsuchung seiner Datscha eine große Summe Geld gefunden haben. Pawel Sapelka, ein Anwalt von „Viasna“, glaubt, dass die Verhaftung von Tichanowski und seinem Team bei der Mahnwache in Hrodna der Beginn massiver Repressionen der Behörden gegen Belarussen war. Nach der Präsidentenwahl im August 2020, die Swetlana Tichanowskaja laut unabhängigen Auszählungen gewann, wurde Sergej Tichanowski zusätzlich der Organisation von Protesten beschuldigt. Während der im Land laufenden Proteste, beschloss Alexander Lukaschenko, sich mit verhafteten Oppositionsaktivisten direkt in der KGB-Untersuchungshaftanstalt zu treffen. Bei dem Treffen dutzte Sergej Tichanowski Lukaschenko, stellte kritische Fragen und regte sich über Rechtsverletzungen auf. Als Lukaschenko ihn sagte, „den Präsidenten nicht zu unterbrechen“, erwiderte Tichanowski, dass ihn das nicht überraschen würde, seine Frau sei die Präsidentin.
Druck im Gefängnis
Im Dezember 2021 wurde Sergei Tichanowski unter anderem wegen der Organisation von Massenunruhen und der Aufstachelung zum Hass zu 18 Jahren Haft in einer Strafkolonie verschärften Regiemes verurteilt. Das Beispiel von Tichanowski zeigt alle Druckmittel, die die Sicherheitsbehörden einsetzen, um einen unbequemen Gefangenen psychologisch zu brechen. Er wird im Gefängnis der maximalen Isolation unterworfen. Ihm drohen nun weitere zwei Jahre Haft wegen „böswilligen Ungehorsams gegenüber Vollzugsbeamten“.
„Sergej wird nicht aufhören, ein charismatischer und intelligenter Leader zu sein, egal wie viele Jahre man für ihn noch ausdenkt“, reagierte Swetlana Tichanowskaja auf die Nachricht. Die Anführerin der Opposition im Exil erzählt immer auf der internationalen Bühne über das Schicksal von Sergej und Tausende von Gefangenen.
In zwei Jahren hat sich der „Fall Tichanowski“ zu Dutzenden von politisch motivierten Strafverfahren ausgeweitet. Die Behörden haben ihn genutzt, um anders Denkende und Unterstützer von Tichanowski zu verfolgen. Dutzende von Menschen sind verurteilt worden. Zerkalo.io hat erfahren, dass die Wohnung von Sergej Tichanowski in Minsk versteigert wurde. Die Behörden versuchen, die Wohnung zu verkaufen, um den erfundenen Schaden zu kompensieren. Dem Urteil zufolge müssen er und die anderen Angeklagten in diesem Prozess etwa 8,5 Millionen Euro Busgeld zahlen.
„Das Regime ist in Plünderung und Banditismus verfallen. Sergej, ich und unsere Kinder haben viele schöne und glückliche Tage in dieser Wohnung verbracht. Egal wie stark sich diese Leute bemühen, um uns die Familie, die Liebe und die Erinnerungen zu nehmen, es wird ihnen nicht gelingen – jeder Moment des Glücks bleibt bei uns“, betonte Swetlana Tichanowskaja.