Menschenrechtler Aleh Mazkewitsch: „Ich kehre auf jeden Fall nach Belarus zurück“
Obwohl Zehntausende, Hunderttausende von Belarus*innen wegen der Verfolgung durch das Lukaschenko-Regime gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, bleiben immer noch viele patriotisch gestimmte Aktivist*innen, darunter auch Menschenrechtler*innen, weiterhin im Land: Sie fühlen sich zwar einem hohen Risiko von Repressionen oder sogar Kriminalstrafen ausgesetzt, versuchen jedoch bis zuletzt, etwas Positives zu Hause zu leisten. Noch vor kurzem gehörte auch das Mitglied des Menschenrechtszentrums „Viasna“ Aleh Mazkewitsch aus der Stadt Baryssau dazu. In seinem ersten Interview, seit er in Sicherheit ist, berichtete der Menschenrechtler den Kolleg*innen aus „Viasna“, wie er zum Exil gezwungen wurde.
Was war der Anstoß für eine so schwierige Entscheidung?
— Es war in der Tat ein Schritt der Verzweiflung, denn bis zum letzten Moment habe ich mich, wie es heißt, mit den Zähnen an Belarus, an meine Stadt Baryssau geklammert. Im Unterbewusstsein saß dieser Gedanke schon lange, ich verstand, dass ich früher oder später gehen müsste. Ich bin davon ausgegangen, dass die Sicherheitsbehörden mich nicht in Ruhe ließen, auch wenn sie mich vielleicht nicht so hart unter Druck setzten wie manche andere. In den letzten drei Jahren wurde mein Zuhause jedoch dreimal brutal durchsucht. Besonders schlimm war die letzte Durchsuchung, bei der meine ganze Wohnung vier Stunden lang in meiner Abwesenheit, denn ich war inhaftiert, auf den Kopf gestellt und viele Gegenstände beschädigt wurden. Es wurde sogar versucht, den in die Wand eingelassenen Tresor herauszubrechen, dabei wurde ein Stück von der Wand zerstört. Ich wusste, dass ich das Land verlassen muss, aber ich habe nicht gedacht, dass es so plötzlich und schnell passiert. Ich musste mich zwischen Freiheit und Gefängnis entscheiden.
Und was war das letzte Argument für die Wahl der Freiheit?
— Am 8. November wurde ich von meinen Freunden über einen Messenger darüber informiert, dass ich nun als Mitglied der „extremistischen Formation ex-press.livе“ gelte: Mein Name erschien auf der Liste der Personen, die angeblich mit dieser Internet-Zeitung aus Baryssau verbunden seien. Dies war der Beschluss des belarusischen KGB vom 24. Oktober. Und dann entschied ich mich buchstäblich in einer halben Stunde, Belarus zu verlassen. Schon am nächsten Tag habe ich mich unter Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen, wie es heißt, in eine unbekannte Richtung entfernt.
Welche Gefühle und Sorgen hattest du dabei? Hast du eine Gefahr gespürt?
— Ich irre mich wohl nicht, wenn ich sage, dass alle, die die Heimat so hastig verlassen, den gleichen Seelenzustand haben. Die ersten zwei Tage sind die Phase einer permanenten Selbstüberwindung und Selbstbezwingung. Wenn es dir bewusst wird, dass es kein Ausweichen mehr gibt, sträubt sich alles in deiner Seele gegen eine solche Entscheidung und widersetzt sich der Realisierung. Als ich dann packen wollte, war die Zeit sehr knapp, also machte ich mich nur mit einem Rucksack auf den Weg. Im Grunde war es kein richtiges Packen. Ich hielt mich zu der Zeit nicht mehr zu Hause auf, deswegen hatte ich einige der notwendigsten Dinge bereits bei mir und manches ließ von meinen Freunden aus meiner Wohnung holen, da es für mich gefährlich war, dort aufzutauchen. Ich nahm Ersatzwäsche, Socken, einen Pullover und Hygieneartikel mit. Das war es auch schon.
Als ein aktiver Mensch hat man viele Bekannte und Freunde und war die meiste Zeit selbst in Belarus. Wie fühlen sich die Menschen dort, was denken sie, ändert sich ihre Weltanschauung?
— Jetzt spielt sich das Leben normaler Menschen fast vollständig im Untergrund ab, es ist nicht mehr so öffentlich wie früher. Sehr viele anständige Menschen bleiben auch weiterhin in Belarus und hier werden Lukaschenko und seine Helfershelfer, die sich vorgenommen haben, alles Selbstbewusste auszurotten sowie normale Menschen aus dem Land zu verdrängen, ihr Ziel nie erreichen. Es gibt sehr viele solcher Menschen. Sicherlich müsste man jetzt über die eigene Sicherheit nachdenken und sich genau überlegen, wie und was man noch öffentlich und laut sagen kann. Vielleicht hatte ich nur Pech und die Umstände fügten sich so, dass ich gezwungen war, das Land zu verlassen.
In sozialen Netzwerken, aber auch in freien Medien kommt es immer wieder dazu, dass jene Belarus*innen, die das Land verlassen haben, und diejenigen, die geblieben sind, sich gegenseitig Vorwürfe machen und darüber streiten, wer der größere Patriot und wer ein Verräter sei. Was hast du, was haben deine Freunde davon gehalten und was ist jetzt deine Meinung dazu?
— Gott sei Dank gehören weder ich noch meine Freunde zu den Menschen, die sich über diejenigen lustig machen konnten, die das Land verlassen haben. Auch gibt es in meiner Umgebung unter den früher Ausgereisten keine Menschen, die gegen die Zurückbleibenden hetzen würden. Für alle Menschen mit gesundem Verstand zählt meiner Meinung nach das, was man tut, und dann spielt es keine Rolle, wo man es tut.
Wie fühlst du dich an einem neuen, sicheren Ort? Was sind deine Pläne und Hoffnungen?
— Ich muss mich zuerst ein wenig erholen und langsam stellt sich mein geistiges Gleichgewicht wieder her, aus dem mich die jüngsten Ereignisse vor einer Woche gebracht haben. Jetzt ist das Erste und Notwendigste, zu mir selbst zurückzufinden. Ich habe begonnen, mein Leben hier einzurichten, und ich verstehe, dass es einige Zeit in Anspruch nehmen und mich einige Mühen kosten wird. Ich glaube, ich werde noch die Kraft finden, mich hier einzuleben und meine Menschenrechtsaktivitäten fortzusetzen. Die Kommunikationswege blieben erhalten, und hier können die Lukaschisten nicht verhindern, dass ich weiterhin Kontakte zu denjenigen, die in Belarus bleiben, pflege und ihnen helfe.
— Und noch etwas … ich werde auf jeden Fall, früher oder später, nach Belarus zurückkehren.