20 europäische Länder profitieren von der Folterung politischer Gefangener in Belarus
Die britische Non-Profit-Organisation Earthsight hat eine Untersuchung durchgeführt, die nachweist, dass Europas größte Möbelhandelsketten seit Jahren von der Folterung politischer Gefangener in Belarus und der Abholzung von Urwäldern profitieren.
Earthsight hat 20 verschiedene EU-Mitgliedstaaten identifiziert, die weiterhin belarusische Holzmöbel importieren. Die größten Liefermengen gehen nach Polen, Litauen, Deutschland und Frankreich. Dem Bericht zufolge steht der Einsatz von Zwangsarbeit durch Gefangene in direktem Zusammenhang mit Möbeln, die von fast jeder Möbelhandelskette in Europa verkauft werden. Dabei handelt es sich nicht nur um die IKEA-Kette, wie bereits berichtet wurde, sondern auch um die französische BUT, die österreichische XXXLutz-Gruppe und die deutsche Polipol. Darüber hinaus werden die in den Skandal verwickelten IKEA-Möbel auch in den USA verkauft.
Die belarusische Strafvollzugsbehörde setzt in 27 großen Strafkolonien im ganzen Land Zwangsarbeit ein, um eine Vielzahl von lukrativen Waren herzustellen, von Militäruniformen bis hin zu Nudeln. Doch die größte Einnahmequelle des belarusischen „industriellen Gefängniskomplexes“ ist Holz.
Gefangenenarbeit wird auf allen Produktionsstufen eingesetzt, auch beim Fällen von Bäumen in staatlichen Wäldern. Etwa acht Prozent der belarusischen Wälder, darunter die Gebiete mit dem wertvollsten Holz, werden direkt von der „Präsidialverwaltung“ kontrolliert, die im Grunde Privateigentum des Autokraten Aljaksandr Lukaschenko ist. Jedes Jahr werden im belarusischen Teil der Bialowiezer Heide (UNESCO-Welterbe) mehr als 1 Million Kubikmeter Holz gefällt.
In den Kolonien sind 8.000 Menschen in der Holzverarbeitung tätig. Die Gefangenen fällen jährlich eine halbe Million Bäume und stellen Büromöbel, Fenster und Türen in Massenproduktion her. Allein in der Kolonie in Babrujsk erstrecken sich die Werkstätten über eine Fläche von mehr als fünf Fußballfeldern. In dieser Strafkolonie wurde zuvor auch der Menschenrechtsverteidiger Ales Bialiatski inhaftiert, der dieses Jahr den Friedensnobelpreis erhielt und nun wieder politischer Gefangener ist.
Alle von Earthsight befragten Gefangenen bestätigen, dass die Arbeit zwangsweise und unter unmenschlichen Bedingungen erfolgte. Die Werkstatt wurde im Winter nicht beheizt, Arbeitsverweigerung galt als Vergehen, für das man „die Nieren abgeschlagen bekam und für ein paar Tage in eine Disziplinarzelle gesteckt wurde“. Ein im Dezember 2021 freigelassener politischer Gefangener beschrieb die Arbeit der politischen Gefangenen mit einer grimmigen Anspielung auf die Ereignisse der Vergangenheit: „Wie das Sprichwort sagt, Arbeit macht frei“.
Beweise für die Folterung politischer Gefangener in belarusischen Strafkolonien sind weder ein Geheimnis noch eine Neuigkeit für Europa. Die Zeugenaussagen der Opfer wurden auf der EU-Website in allen 24 Amtssprachen veröffentlicht. Das hat europäische und amerikanische Organisationen jedoch nicht davon abgehalten, den belarusischen Kolonien bis zum Jahr 2020 „grüne“ Zertifikate des FSC, des Forest Stewardship Council, der als Inbegriff des „ethischen“ Konsums gilt, auszustellen.
Als das FSC noch vor der Veröffentlichung auf die Ergebnisse aufmerksam gemacht wurde, erklärte die Organisation, dass „Zwangsarbeit kein Problem darstellt, das in allen Strafkolonien vorkommt“ und dass eine Prüfung der Kolonien durch das FSC bestätigte, dass die Gefangenen nicht zur Arbeit gezwungen werden und einen Lohn erhalten, „auch wenn er niedrig ist“. Earthsight nennt folgende Zahlen in seinem Bericht:
Formal gesehen wird ein Lohn gezahlt, aber nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung bleibt eine lächerliche Summe übrig. Man zeigte uns eine Lohnabrechnung, wo in der Zeile „Lohn, Gesamtbetrag“ eine Summe von 15,18 belarusischen Rubeln – umgerechnet sechs US-Dollar – für ein ganzes Jahr Arbeit angegeben war.
Fünf verschiedene Unternehmen haben FSC-Zertifikate für belarusische Kolonien und/oder Nationalparks im Besitz der Präsidialverwaltung ausgestellt, trotz ihrer Reputation und der EU-Sanktionen gegen das Topmanagement. Dabei wurde das FSC-Zertifikat für eine der Kolonien nur 5 Tage nach der weltweiten Berichterstattung über die Folterung der inhaftierten Demonstranten ausgestellt.
Am 3. Juni 2022 traten die EU-Handelssanktionen in vollem Umfang in Kraft und stoppten formell die Einfuhr von belarusischem Holz nach Europa. Es blieb jedoch eine Ausnahme: die Möbelexporte. Allein im Juli 2022 kauften europäische Unternehmen Holzmöbel und Möbelteile im Wert von 13,9 Millionen Euro aus Belarus.
Earthsight stellt fest, dass die europäischen Verbraucher jetzt nicht nur einen brutalen Diktator direkt unterstützen, sondern auch den russischen Terror in der Ukraine finanzieren.