Gewalt, Erniedrigung, unhygienische Verhältnisse: Wie Frauen in belarusischen Gefängnissen misshandelt werden
Das Menschenrechtszentrum „Viasna“ wandte sich an das Amt des UN-Hochkommissars für Menschenrechte „OHCHR“ und informierte es über die vorliegenden Berichte über Folter sowie über grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung von Frauen.
Die Menschenrechtler*innen sammelten Informationen und dokumentierten Folter und Misshandlungen, die von den belarusischen Behörden und anderen vor und nach den Präsidentschaftswahlen 2020 begangen wurden. Das Menschenrechtszentrum „Viasna“ hat von den Opfern und Zeugen die Erlaubnis erhalten, die erhaltenen Informationen anonym zu verwenden, zu veröffentlichen und an die UN-Menschenrechtsorganisationen weiterzugeben. Die Informationen von 193 Frauen wurden über einen Zeitraum von drei Jahren und fünf Monaten dokumentiert. Die Geschichten von 106 Frauen enthalten Informationen über ihre Festnahme und die anschließende Verwahrung in Haftanstalten. Alle wurden mit Menschenrechtsverletzungen ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht konfrontiert.
37 Frauen berichteten über konkrete Fälle der Anwendung von körperlicher Gewalt während ihrer Festnahmen und Verwahrung in Gefängniszellen. Frauen, die an ihre Festnahmen zurückdenken, berichten von Schlägen mit einem Polizeiknüppel auf die Beine während der Inhaftierung. Außerdem wurden sie geschlagen, während sie auf dem Boden lagen. Ein Beamter der Spezialeinheit OMON sprach zu einer der Frauen, während er sie verprügelte. Er sagte: „Das bekommst du für Steine, das bekommst du für Molotowcocktails.“ Er nannte sie „Hurenkinder“ und sagte: „Ich bringe dir bei, wie man lebt, ich bringe dir bei, wie man Geld erhält.“
Bei gewaltsamen Eindringen in Wohnräume und während der Durchsuchungen wurde oft brutal vorgegangen. Die befragten Frauen berichteten über die Körperverletzungen als Folge einer brutalen Festnahme: eine Armfraktur mit vier Bruchstücken und Nervenschäden, starke Blutergüsse, eine geschlossene Fraktur der Kniescheibe mit Verlagerung von Bruchstücken, Schäden am Bandapparat beider Ellenbogengelenke, zahlreiche Abschürfungen, Prellungen, Blutergüsse usw.
Die Frauen sagten aus, dass sie während ihrer Festnahmen sowie während ihrer Verwahrung in Haftanstalten einem moralischen Druck der Vollzugsbeamten ausgesetzt waren. Sie berichteten auch von Drohungen sexueller Gewalt. Darüber hinaus wurde ihnen mit einem Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder gedroht. Fast alle Frauen berichteten von Angst-, Scham- und Demütigungsgefühlen sowie einem instabilen psychischen Zustand nach ihrer Entlassung.
18 Frauen berichteten von Foltern durch Verharren während ihrer Festnahme: sie wurden gezwungen, eine unbequeme und unnatürliche Haltung einzunehmen und mussten darin so lange stehen, bis sie erschöpft umfielen. Fünf Frauen bestätigten, dass sie während ihrer Festnahme mit lauter Musik gefoltert wurden. Die Musik hinderte sie daran, zu schlafen oder sich zu beruhigen. Viele Frauen erhielten etweder unangemessene oder gar keine medizinische Versorgung. Alle Befragten berichteten von unhygienischen Haftbedingungen und einem Mangel an Hygieneartikeln.
Die unzureichende medizinische Versorgung und die unhygienischen Haftbedingungen verschärfen die bereits bestehende Situation. Die Verweigerung medizinischer Versorgung, ihre unzureichende Erbringung und der Mangel an notwendigen Hygieneprodukten stellen schwerwiegende Verstöße gegen die Standards der Gesundheitsversorgung von Inhaftierten dar. Zur Erinnerung: Im Jahr 2021 traten politische Insassinen der Haftanstalt Akreszina aufgrund unerträglicher Haftbedingungen in einen Hungerstreik.
Toiletten ohne Türen und männliches Wachpersonal – ist das keine Diskriminierung von Frauen?
In den Zellen des Isolationszentrums für Straftäter*innen war es den Aktivistinnen unmöglich, sich der ständigen Videoüberwachung zu entziehen, sogar bei Toilettengängen und Intimwäsche. In der Zelle des Untersuchungshaftanstalts in Schodsina war die Toilette überhaupt nicht eingezäunt und es gab kein warmes Wasser. All diese Umstände ermöglichten es männlichen Mitarbeitern, administrativ verhaftete Frauen sogar in ihren privaten Momenten zu beobachten.
Die politisch gefangene Journalistin Wolha Klaskouskaja, die 791 Tage inhaftiert war, kommentierte das „Strafvollzugssystem“ der Kolonie in Homel:
Solche Bedingungen werden in der Kolonie geschaffen, um die Weiblichkeit einer Frau zu töten, ihren Wunsch, für sie selbst zu sorgen, denn die Erkenntnis, dass sie gut aussieht, hebt ihre Stimmung, und das sollte sie nicht glücklich machen. Man muss eine graue Masse sein, man darf nicht lächeln, denn, wie viele Bedienstete sagten, „im Gefängnis muss es hungrig, kalt und feucht sein“, denn „der Verurteilte muss leiden“. Diese unmenschlichen Bedingungen sind alle sehr gut durchdacht, um einem den Boden unter den Füßen wegzuziehen, damit man seine Identität verliert, zusammenbricht und den Mut verliert. Es wurde alles getan, um den Willen der Inhaftierten zu lähmen und ihre Gedanken an jeglichen Widerstand auszurotten. Damit sie sich schwach, minderwertig, hilflos, schuldig fühlen, weil solche Menschen leichter zu steuern und zu manipulieren sind.
Ich wurde mehrmals in andere Haftanstalten verlegt. Aufgrund von Mangelernährung, Appetitlosigkeit und Stress habe ich über 15 Kilo an Gewicht verloren. Meine Hände zitterten aufgrund von Blutungen und niedrigem Hämoglobinwert. Im Speisesaal konnte ich aufgrund des Zitterns keinen Löffel halten und somit keine Suppe essen. Mit der Zeit fing ich an, sie einfach aus einem Teller zu trinken, wenn man dieses „Aluminiumgerät“ überhaupt als Teller bezeichnen kann.
„Vier Toiletten für 100 Personen“
Manchmal hatte ich morgens keine Zeit, auf die Toilette zu gehen, da wir vier Toiletten für 100 Personen hatten. Es gab sehr wenig Zeit: Man steht um 6 Uhr auf und schon um 6:25 Uhr muss man sich zum Frühstück anstellen. Davor musste das Bett nach sehr unsinnigen Vorschriften gemacht werden – die Bettdecke musste in Form eines Umschlages in das Laken eingelegt werden, wobei die Abstände zwischen den Ecken des Umschlages bestimmten Zentimeterzahlen entsprechen mussten. Die Breite der in das Lacken gesteckten Decke, also der in der Mitte sichtbare Teil, musste die Größe einer Streichholzschachtel haben. Außerdem muss man sich anziehen und auf Toilette gehen, wo es wiederum eine Warteschlange gibt. Man muss überall anstehen, so sind alle morgens stinksauer. Es war nicht immer möglich, auf Toilette zu gehen, deshalb hatte ich sehr oft Bauchschmerzen. Ich ging also in der Fabrik auf die Toilette.
Wolha bemerkt, dass die schlechten Bedingungen, die von der Verwaltung geschaffen wurden, sich sehr negativ auf den Zustand von Haaren, Haut und Nägeln auswirkten.
Aufgrund von Mangelernährung, Vitaminmangel und chronischem Stress litten viele Inhaftierte unter Haarausfall. Man hat hatte keine zeit sich ordentlich zu waschen. Man verschmiert Dreck sogusagen einfach über den ganzen Körper. Das Shampoo lässt sich nicht auswaschen. Und das wirkt sich sehr stark auf den Zustand der Haare aus. Es ist sicherlich eine Schikane, einer Frau zu verbieten, sich die Haare zu waschen. Und überhaupt ihr eine Möglichkeit zu nehmen, sich richtig zu waschen. Wir tragen die meiste Zeit ein Kopfbedeckung, wodurch unsere Köpfe besonders im Sommer schwitzen. Die Kopfhaut ist die ganze Zeit am Jucken, die Haare sind immer schmutzig, man bekommt Schuppen.
Die 20-jährige ehemalige politische Gefangene Darja Karol erinnert sich an die Haftbedingungen in der Untersuchungshaftanstalt Akreszina:
Einmal pro Woche erhielt jeder ein Viertel Stück Kernseife. Sie war für alles da: zum Geschirrspülen, zum Hände- und Wäschewaschen. Wir bekamen auch geschnittenes Toilettenpapier für den Tag, aber es war knapp. Wir hatten auch knapp Damenbinden. Es kam vor, dass für einen Tag zwei Damenbinden für drei Personen ausgegeben wurden – und was sollen wir damit tun?! Deshalb haben wir versucht sie zu sparen und einen Vorrat zu sammeln. Bei abendlichen Durchsuchungen wurden unsere Beutel ausgeschüttet und genau untersucht.
Die Ergebnisse der Analyse dokumentierter Geschichten deuten auf schwere Rechtsverletzungen und Missbräuche gegenüber den Frauen hin. Die vorgelegten Beweise unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer internationalen Reaktion auf die vorherrschende Praxis von Festnahmen und Haftanstalten. Dabei sollten die Rechte und die Sicherheit aller Inhaftierten, insbesondere schutzbedürftiger Personengruppen wie Frauen, berücksichtigt werden.