„Willkommen bei der Gestapo“: Wie politische Gefangene im Jahr 2022 in Belarus gefoltert wurden
Folter und Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen sind seit August 2020 ein fester Bestandteil der politischen Verfolgung von Dissidenten. Bisher wurde noch kein einziges Strafverfahren gegen die verantwortlichen Einsatzkräfte eingeleitet. Die Gerichte verhängen die hohen Haftstrafen nicht gegen diejenigen, die foltern, sondern gegen diejenigen, die gefoltert und geschlagen werden. Die Menschenrechtsaktivisten von „Viasna„“ dokumentieren weiterhin alle Fälle von Folter und grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Sie sind zuversichtlich, dass die Verantwortlichen letztendlich vor Gericht gestellt werden, und erinnern an die berüchtigtsten Fälle von Folter, die im Jahr 2022 gemeldet wurden.
Die Gefangenen werden aus politischen Gründen geschlagen, meist mit einem Knüppel auf die Beine und das Gesäß. Es werden auch Taser sowie Plastikbeutel zum Ersticken der Menschen verwendet. All das wird von Androhungen weiterer, noch größerer Gewalt begleitet.
„Es gab Menschen mit komplett blauen Beinen. Das kommt am häufigsten vor. Aber ich wurde auf den Kopf geschlagen, sodass ich auch unter den Augen blaue Flecken hatte. Ich sehe sehr schlecht, aber als ich in das Zentrum für vorläufig Festgenommene eingeliefert wurde, weigerte sich einer der Angestellten, mir meine Brille zu geben, und sagte, dass ich in 15 Tagen wieder sehen kann,“ erzählte der ehemalige Gefangene Aljaxandr Andruschkewitsch gegenüber „Viasna“.
„Meine Mutter wurde den Korridor entlang geführt und geschlagen“
Pawel Resanowitsch, der im vielbeachteten „Fall Autuchowitsch“ zu 19 Jahren Haft in einer Kolonie verurteilt wurde, sagte vor Gericht aus, dass er unter Folter eine vorbereitete Aussage unterschrieben habe:
„Die KGB-Mitarbeiter drohten mir mit der Verhaftung meiner Frau, und meine Mutter wurde den Korridor entlang geführt und geschlagen, und ich konnte ihre Schreie hören. Unter solchen Bedingungen unterzeichnet man nicht nur solche Dinge“.
Seine Mutter, Ljubou Resanowitsch, wurde im selben Fall zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.
„Verhör im Wald mit Pistolen“
Der Programmierer Aljaxej Kawaleuski wurde wegen seiner Teilnahme an den Protesten im August 2020 zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt und bis zur Einweisung in die Justizvollzugsanstalt freigelassen. Aljaxej beschloss, direkt nach Litauen zu gehen, wurde jedoch bei einer Spezialoperation des KGB erwischt:
„Kurz nachdem wir Hrodna verlassen hatten, werden wir maximal hart vom KGB empfangen. Das Auto wurde gerade von der Verkehrspolizei angehalten, der Fahrer hatte noch nicht mal Zeit, die Handbremse anzuziehen, die Tür wird bereits geöffnet und ich bekomme einen Schlag auf den Kiefer und dort stehen Leute, die mit ihren Waffen auf mich zielen. Direkt — „Schnauze auf den Boden“ und eine Reihe von Schlägen, die ich nicht mehr zählen konnte. Danach werden der Fahrer und ich im Kofferraum in den Wald gebracht, wo man uns herausholt und verprügelt, unter anderem mit einem Elektroschocker. Im Wald wird ein Verhör mit Pistolen durchgeführt. Die Beamten waren in Zivilkleidung.
Wie sich herausstellte, sollten als Teil meine Gruppe „die Eisenbahnpartisanen“ aus Babrujsk die Grenze überqueren. Sie waren schon lange vorher verhaftet worden, während unsere Verhaftung inszeniert wurde. <…> Später spielten sie einen Streich mit durchgeschossenen Knien. Sie schrien, dass man uns auch die Knie durchschießen würde. Man hat mich so geschlagen, dass ich das Bewusstsein verlieren müsste, aber ich wurde doch verhört — es war maximal seltsam. Diese ganze Sonderaktion sollte dazu dienen, einen Mann zu fangen, der Leuten beim Überqueren der Grenze hilft“.
„Ich dachte, dass ich es einfach bis dorthin nicht schaffe“
Im Februar wurden Aljaxej Bytschkouski und Arzjom Parchamowitsch zu jeweils 11 Jahren Haft in einer Strafkolonie verschärften Regimes verurteilt, und zwar aufgrund von „Datenleaks“ über Einsatzkräfte, die an Repressionen beteiligt waren, über den Telegram-Kanal „Schwarzes Buch von Belarus“. Aljaxejs Frau, Tatsiana Bytschkouskaja, erzählte „Nascha Niva“, dass ihr Mann nach seiner Festnahme schwer geschlagen wurde:
„Ich möchte nicht einmal darüber sprechen, was ihm angetan wurde — es war einfach nur erniedrigend für ihn. Aber man sagte mir, dass er getasert wurde und das Bewusstsein verlor…
Und mein Mann selbst schrieb in einem seiner Briefe über den Weg zum Ermittlungskomitee: “Ich dachte, dass ich es einfach bis dorthin nicht schaffe“.
„Willkommen bei der Gestapo“
Im März, ebenfalls im „Falls des Schwarzes Buches von Belarus“ der Streetart-Künstler und IT-Spezialist Dsmitryi Padres zu sieben Jahren Haft in einer Strafkolonie verschärften Regimes verurteilt. Dsmitryis ehemaliger Zellengenosse erzählte „Viasna“ die Einzelheiten über seine Inhaftierung:
Sie rannten ins Badezimmer, schnappten ihn und legten ihn im Zimmer auf den Boden. Handschellen an die Hände. Ein Mitarbeiter der Hauptdirektion zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption (GUBOPiK) namens Wyssozki nahm aus einem Regal den Abdruck einer Hand in Gipsform, zog ein Kondom über und sagte: „Lasst uns das Teil in den Hintereingang schieben“. Aber die Gipshand legte er neben seinen Kopf. Zuvor hatte ihm ein Mitglied des Sondereinsatzkommandos in die Oberschenkel getreten und ein anderer mit einem Handschuh ins Gesicht geschlagen.
In der Hausbibliothek fand man einen russisch-polnischen Sprachführer. Ein GUBOPiK-Mitarbeiter namens Astaschka schlug ihm mit dem Sprachführer ins Gesicht und sagte: „Bist du kein Patriot, verdammt nochmal?“.
Man brachte sie zur Hauptdirektion zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption (GUBOPiK). Bei der Anfahrt sagte Wyssozki: „Willkommen bei der Gestapo“.
„Er war komplett blau, vom Ende seiner Wirbelsäule bis fast zu seinen Fersen“
Im Dezember wurde der ehemalige Ermittler Mikita Staraschenka, der zurückgetreten war, um nicht in die Repressionen verwickelt zu werden, zu sieben Jahren Haft in einer Strafkolonie verschärften Regimes verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, Kontaktdaten von Einsatzkräften „geleakt“ zu haben, und zwar über„Protestkanäle“. Sein Zellengenosse bestätigte gegenüber „Viasna“, dass er bei der Verhaftung verprügelt wurde:
„Er war komplett blau: vom Ende seiner Wirbelsäule bis fast zu seinen Fersen. Seine Füße waren nicht einmal blau, sondern dunkelviolett. Er hatte Schürfwunden im Gesicht und am Kopf, Spuren von Handschellen. Mikita sagte, sie hätten ihn getreten, mit Gummiknüppeln geschlagen, ihm einen Lappen um den Kopf gewickelt, einen Eimer über seinen Kopf gestülpt und dann den Eimer geschlagen, damit keine Spuren der Schläge zu sehen waren. Aber er hatte trotzdem eine Schnittwunde auf der Nase und eine große Schürfwunde neben seinem Ohr. Er wurde wohl richtig stark auf die Nase geschlagen, denn die war auch rot. Außerdem hatte er geschwollene Lippen und eine Schürfwunde am Kinn“.
„Sie stülpten mir einen Sack über den Kopf, es waren mindestens 50 Schläge“
Im September wurde der politische Gefangene Anatol Latuschka, Cousin des Politikers Paul Latuschka, zu sechs Jahren Haft in einer Kolonie und einer Geldstrafe von 300 Basissätzen verurteilt. Während des Gerichtsverfahrens wurden Einzelheiten über die Anwendung körperlicher Gewalt gegen ihn auf dem Polizeirevier bekannt, worüber Latuschka während der Ermittlungen erzählte:
„Der Mitarbeiter stülpte mir zweimal eine Plastiktüte über den Kopf und erklärte, dass man irgendwelche Informationen von mir haben wollte, über die ich selbst nichts wusste. Einer der Mitarbeiter nahm einen Gummiknüppel in die Hand und begann, mir damit zu drohen…“ [ein Teil des Textes wurde vom Richter ausgelassen].
„Über Schläge irgendeiner Art, mindestens 50 Mal…“, — fährt der Richter fort.
„Man sprach davon, dass man Informationen über irgendwelche Telegram-Kanäle von mir haben wollte. Ich konnte nicht verstehen, was sie von mir wollten. Da ich körperlich unter Druck gesetzt wurde, stimmte ich zu, die Aussagen zu machen, die mir von den Milizmitarbeitern vorgegeben wurden“.
Vor Gericht bestätigte der politische Gefangene diese Tatsachen.