In zwei Jahren hat die belarusische Diaspora Großes bewirkt
Im Interview mit der Deutschen Welle sprach der Soziologe Henadz Korshunau über die Transformation der belarusischen Diaspora nach dem Jahr 2020, ihre Ziele und Herausforderungen sowie die Bedeutung von Straßenaktionen, die in den Städten rund um die Welt stattfinden.
„Es gab schon immer viele Belarus*innen im Ausland. Doch im Jahr 2020 lösten sie sich vom postsowjetischen russischsprachigen Kulturraum und erkannten ihre eigenständige Identität. Durch Straßenaktionen zeigte man der ganzen Welt, dass es Belarus*innen gibt, und dass sie nicht einfach nur da sind – sondern dass sie auch handeln und an Belarus denken. Solche Aktionen sind notwendig, um in den Städten, in denen sie stattfinden, zu zeigen, dass die Belarus*innen nicht mit dem Regime gleichzusetzen sind, dass sie gegen das Regime, gegen Repressionen und gegen den Krieg sind. Sie sind auch für die eigenen Landsleute im Ausland notwendig. Dies ist eine Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass man nicht einfach weggezogen ist, dass man ein Belaruse bleibt.
Das Regime hat genau diejenigen ins Ausland vertrieben, die die belarusische Zivilgesellschaft, die belarusischen Medien und die belarusische Kultur vorangetrieben haben, diejenigen, die das Belarusentum geprägt haben. Das Ziel der Belarus*innen im Ausland besteht jetzt nicht nur darin, sich selbst und die belarusische Nation zu bewahren, sondern auch darin, eine gewisse Reserve oder Basis von Ressourcen und Verbindungen zu schaffen, die zum Wohle des neuen Belarus genutzt werden können und sollen, für die Gestaltung eines Reformplans, der finanziellen Beziehungen und der Möglichkeiten für die Erschaffung des neuen Belarus. In den zwei Jahren des Kampfes hat die belarusische Diaspora sowohl große Projekte von gesamtbelarusischer Bedeutung organisiert – BYSOL, BYPOL, ByHelp usw. – als auch eine große Anzahl von Freiwilligenprojekten, die nicht beworben werden, aber zahlreiche kleine Aufgaben lösen.
Wenn die politische Situation nicht in absehbarer Zeit gelöst werden kann, wird die Aktivität der Belarus*innen im Ausland zweifellos nachlassen. Doch die belarusische Diaspora ist hauptsächlich aus einem bestimmten Kern heraus entstanden, und dieser Kern wird auf jeden Fall bestehen bleiben. Das Regime wird wahrscheinlich weiterhin Gründe dafür liefern, dass sich dieser Kern politisiert. Auch andere werden es nicht vergessen und sich ebenfalls an der Bewegung der Belarus*innen im Ausland beteiligen.“